1. Preis des Berliner Hörspielfestivals. Die BegrĂŒndung der Jury:
Wenn eine Reihung von Substantiven ausreicht, um eine Geschichte zu erzĂ€hlen, oder genauer gesagt, eine Geschichte zu vermeiden, braucht es keine Verben. In âWendy Pferd Tod Mexikoâ, dem akustischen Bilderzyklus von Natascha Gangl und dem Elektroakustik-Duo RdeÄa Raketa (das sind Maja Osojnik und Matija Schellander) reichen zwei Eigennamen und zwei Substantive aus, um den kulturellen Kosmos zwischen der Heldin prĂ€pubertĂ€rer Pferdefreundinnen-Comics und dem mexikanischen Totenkult entstehen zu lassen.
Da öffnet sich âeine Geschichte, die jemand geworfen hat ohne Zielâ und sie trifft die Hauptfigur mit den dicken blonden Haaren wuchtig mitten in die Stirn â ein Augapfel fĂ€llt heraus und ihr wird die Frage gestellt: âWas willst Du sehen?â Aus der (Kunst-)Geschichte des Surrealismus wissen wir, dass der erste Schnitt durch das Auge geht. Und was ist das Schlussbild in Natascha Gangls Hörspiel anderes als ein surrealistisches, auf dem ein Pferdekadaver wieder Fleisch ansetzt und zu singen beginnt. Vielleicht weil er das Wort gefunden hat, dass im Spanischen jeden Tag wieder neu nachgeschlagen werden muss: das Wort heiĂt âel principioâ â der Anfang.
âEinmal sind da ĂŒberall Blutspuren, ist das der rote Faden, ist er das?â, fragt sich Wendy, die nach Mexiko gekommen ist, um Pferderennen zu gewinnen und â konfrontiert mit den RealitĂ€ten dort â einer höheren Instanz das Versprechen abnehmen will auf keinen Tod Einfluss nehmen zu können. Denn die LinearitĂ€t der Geschichte ist eine blutige und wir hören sie in verstörend realen GerĂ€uschen und O-Tönen  aus Mexiko wie auch in einem aggressiven Punksong. Die Wucht mit der Wendy in ein grausiges Wonderland geworfen wird, in der sich die Welten der Lebenden und der Toten ĂŒberschneiden, spĂŒrt man in den hochenergetischen Kompositionen von RdeÄa Raketa.
âNormalerweise hört man auf die Bedeutung und ĂŒberhört die Stimme. Man hört die Stimme nicht richtig, weil sie von der Bedeutung ĂŒberdeckt ist, aber die Bedeutung ist gestorben und die Stimme des Gestorbenen, sie fragt mich: was willst du sehen?â, heiĂt es im Hörspiel. Und obwohl es im Hörspiel prinzipiell nichts zu sehen gibt, spannt das Hörspiel ein beeindruckendes akustisches Panorama auf.
Die Jury bestand aus der Vorjahrgewinnerin Tina Saum, der Schauspielerin Bettina Kurth, dem Medienwissenschaftler Golo Föllmer und dem Hörspielkritiker Jochen MeiĂner (Vorsitz).
NATASCHA GANGL / RDECA RAKETA: Chicken 7âł
Hinter den Nomes de Guerre Natascha Gangl und RdeÄa Raketa verstecken sich das Duo Maja Osojnik und Matija Schellander, wobei der Name RdeÄa Raketa wohl fĂŒr das Duo als Ganzes steht â alles etwas verwirrend auf den ersten Blick, aber das ist sekundĂ€r angesichts der Ă€uĂerst markanten Musik, die diese 7âł enthĂ€lt.
âChickenâ ist das erste Release von Maja Osojnik nach ihrem Album âLet Them Growâ und zugleich das DebĂŒt ihres neuen Labels, mit dem sie noch einiges vor hat. Es enthĂ€lt zwei Tracks, die vom Strickmuster her nicht unterschiedlicher sein könnten: Der Titelsong ist ein brachiales Noise(-Rock)brett, das mit verzerrtem Feedback und dynamischen Handclap-Takten gleich auf den Punkt kommt, und wenn die verfremdete Stimme der SĂ€ngerin âThere is a chicken in my heart and it bleads and it bleadsâ verkĂŒndet, könnte man sich fragen, ob das nun eine Allegorie ist oder Dada oder beides, doch im Rahmen des Songs wirkt das alles sinnvoll und passend. BrĂŒche und launige Tanzeinlagen mischen die Szenerie auf, und wenn gegen Ende von Handtrommeln unterlegtes Gackern ertönt, kann niemand bestreiten, je ein Huhn derart bluten gehört zu haben. Ganz anders âDie Totenâ auf der zweiten Seite, wo zu dramatisch dröhnenden OrgelklĂ€ngen ein Text ĂŒber die Heimsuchung durch etwas WiedergĂ€ngerisches aus der Vergangenheit erklingt. âDer Tote labert, labert, labertâ heiĂt es nicht ganz ohne Komik, und âHolâ einer die Axt und holâ ausâ, und man bekommt da GefĂŒhl nicht los, dass das nicht einfach ein schrĂ€ger Song ĂŒber Zombies ist.
âChickenâ ist der Auftakt zu einer Reihe von Singles, die spĂ€ter zusammen mit einer Hörspiel-CD und einem Comicbuch eine Box bilden sollen â die Wartezeit bis dahin wird also mit einigen Lebenszeichen gehört, zu denen auch eine Tour in den nĂ€chsten Wochen gehört. (U.S.)
Label: Mamka
Mamka Records â MAM01 â 1st November 2018
AURAL AGGRAVITATION- UK – Christopher Nosnibor
âLanguage becomes sound, and sound becomes language. Out of the fragmentary, the density is weaved. From the depths of the fragile, the whole is born. Time structures are questioned and assembled through loops. Field recording from Mexico meet Osojnikâs singing. Spoken language turn into melodies, whole noise turns into bittersweet rancheras.â The words from the text â more of a short essay â which accompanies this release resonate: as a long-time student and practitioner of cut-up methodologies, Iâm a firm believer in the unusual power of the fragmentary, the capacity for those broken, ruptured pieces of discontinuity to unlock experiences and emotions direct approaches to narrative and the channelling of experience cannot. similarly, Iâve long maintained that the language of sound has the capacity to transcend the language of words, to touch deep and difficult parts of the soul and the psyche irrespective of the tongue or tongues in the listenerâs ken.
And so it is that the first release on Mamka records, the label established by Maja Osojnik â whose work Iâve not only covered previously but greatly admire â is something really quite special. My download arrives â personally addressed, handwritten, stamped, embellished â all the way from Vienna, in an envelope 7â square and therefore resembling a 7â single, accompanied by a six-sided press release packed with words far more engaging than the usual hyperbole. Thereâs also a numbered cut-vinyl print, 7â square included in the package, and it all adds up to a multisensory experience â sonic, tactile, visual â which above all conveys a real sense of commitment, a passion, to making something tangible, something thatâs not ephemeral or disposable, but something that matters. The medium is the message, and Maja has found a way â labour-intensive as it is â which goes beyond the medium of the audio release to create⊠art. The same approach applies to the âcommercialâ release, a 7â available in a super-small run of 150 copes, only 120 of which are available for public consumption. But better target a small, passionate niche than a large indifferent mainstream if art is your pursuit.
Finding a way to render digital media tactile, visual, and above all, personal, in giving the digital listener a large portion of the vinyl experience, Maja is quite possibly breaking new ground, or at least standing at the forefront of something new. For me, itâs less about nostalgia and more about recovering some of whatâs been lost with the demise of physical media.
Said release finds Maja performing with RdeÄa Raketa (together with Matija Schellander, sheâs integral to the duo who go by the name of RdeÄa Raketa) and author Natascha Gangl to deliver a brace of tracks â very much a replication of the classic 7â A and B sides.
âChickenâ opens with a frenzy of analogue synth noise. It simmers to a grating buzz and pulsating electro beat before Maja barrels in with a deep-throated monotone with a barrage of lyrics about a chicken in her heart which bleeds and bleeds, and while clucking electronic bleeps twitter and bleep here, there, and everywhere. Itâs weird, itâs noisy, it bumps and thrums, but still has an off-kilter pop sensibility partially submerged in the layers of noise and oddness.
âDie Totenâ (thatâs âthe deadâ in translation) is rather less accessible, but no less intriguing, engaging, or odd, and in fact, introduces a new level of strangeness to proceedings. Itâs low, slow, lugubrious.
Simultaneously weird and wonderful, âChickenâ is everything you want â and need â by way of an introduction to partially-accessible, highly idiosyncratic, and extremely engaging weird shit.
Was wurde aus Wendy? Mystik, Nichtstun und sprechende Bilder: In Berlin fanden die neunten freien Hörspieltage statt
Wenn man mit offenen Ohren durch die Welt geht, bekommt man hin und wieder interessante Fragen beantwortet, bei denen man nie auf die Idee gekommen wÀre, sie zu stellen. Zum Beispiel: Was ist eigentlich aus Wendy geworden? Zusatzfrage: Wer war das noch mal?
Die Antwort wurde am vergangenen Wochenende beim neunten Berliner Hörspielfestival (BHF) im Theaterdiscounter gegeben. Um niemanden auf die Folter zu spannen: Die Protagonistin des genderkonformen 90er Jahre Pferdecomics ist mittlerweile Heldin eines mexikanischen Neowestern. Zumindest im Hörspiel »Wendy Pferd Tod Mexiko« von Natascha Gangl und dem Elektroakustik-Duo Rdeca Raketa, das aus Maja Osojnik und Matija Schellander besteht. Ihre gemeinsame Studioversion (die drei touren auch mit einer BĂŒhnenfassung durch die Weltgeschichte) gewann den Jurypreis fĂŒr Langhörspiele bis 60 Minuten. In der surrealistischen Akustikarbeit sprechen die Toten mit der in die WĂŒste versetzten Heldin. Andere junge Frauen verschwinden spurlos. Von dem nicht enden wollenden Blutstrom trinkt am Ende ein totes Pferd, das daraufhin wieder Fleisch auf die Rippen bekommt und zu singen anfĂ€ngt. Textbasis fĂŒr das GewinnerstĂŒck sind Kapitel aus Gangls 2015er Roman »Wendy fĂ€hrt nach Mexiko«. (…)
Von Rafik Will / https://www.jungewelt.de/artikel/331923.was-wurde-aus-wendy.html
Ă1: Klangcomic âWendy Pferd Tod Mexikoâ mit Hauptpreis des Berliner Hörspielfestivals ausgezeichnet
Wien (OTS) – Die Autorin Natascha Gangl und das Elektroakustik-Duo âRdeca Raketaâ (Maja Osojnik und Matija Schellander) haben gemeinsam das RadiostĂŒck âWendy Pferd Tod Mexikoâ entwickelt â eine Autorenproduktion im Auftrag von Ă1. Zu hören war es im JĂ€nner in âĂ1 Kunstsonntag: Radiokunst â Kunstradioâ, nun wurde es beim Berliner Hörspielfestival mit dem Hauptpreis ausgezeichnet. (…)
Das jĂ€hrlich stattfindende Berliner Hörspielfestival widmet sich ausschlieĂlich freien Produktionen in den Genres Hörspiel, dokumentarische Form (Feature), Sprach- und Klangexperiment. Die Preise werden in drei Kategorien vergeben: âDas GlĂŒhende Knopfmikroâ (fĂŒr StĂŒcke bis max. 5 Minuten LĂ€nge) und âDas kurze brennende Mikroâ (fĂŒr StĂŒcke bis max. 20 Min. LĂ€nge) werden vom Publikum prĂ€miert, âDas lange brennende Mikroâ (fĂŒr StĂŒcke bis max. 60 Min. LĂ€nge) wird von einer unabhĂ€ngigen Fachjury gekĂŒrt. Freie Hörspiele im Sinne des Berliner Hörspielfestivals sind StĂŒcke, die in Eigenverantwortung der Macherinnen und Macher und ohne redaktionelle Vorgaben entstanden und produziert worden sind. Das bedeutet: das freie Hörspiel braucht sich an keine Konventionen oder Sendeformate zu halten, an keine technischen Standards, an keinen wohltemperierten Schauspielerton, an keine tradierten Ăsthetiken oder die sonstigen ĂŒblichen QualitĂ€tskriterien. Tabus gibt es nicht, selbst Stille ist erlaubt. Das Festival bietet dabei einen faszinierenden Einblick in eine vielfĂ€ltige Independent-Hörspiel-Szene, in der sowohl Hörspiel-Amateure als auch erfahrene Profis vertreten sind. Jedes Jahr werden zahlreiche Hörspiele, Features, Sound- und Sprachexperimente aus Deutschland, Ăsterreich und der Schweiz zum Festival eingereicht, heuer waren es ĂŒber 150 Werke. OTS0059, 3. Mai 2018, 10:00
Ein Gipfeltreffen von Literatur und elektronischer Klangavantgarde
ereignete sich am zweiten Elevate-Abend im Keller des Grazer Forum Stadtpark: Das Duo RdeÄa Raketa und die Autorin Natascha Gangl gaben unter dem Titel âSuperandomeâ auch zu lesen als âsuper random meâ (etwa: das völlig beliebige Ich) – ein Hörspiel zu Gangls Prosa-DebĂŒt âWendy fĂ€hrt nach Mexikoâ. Ăhnlich dĂŒster wie im Text ging es im Soundtrack von Maja Osojnik (Stimme, Samples) und Matija Schellander (Synthesier, Computer) zu.
Elevate Festivalnotizen / Kronen Zeitung am 04.03.2017.
Den Auftakt bildete die Premiere des von Natascha Gangl und dem Kollektiv RdeÄa Raketa entwickelten HörstĂŒcks âSuperandomeâ. In der Adaption ihres Prosa-DebĂŒts âWendy fĂ€hrt nach Mexikoâ beschwört Gangl albtraumhafte Szenarien lebender Toter, welche durch die Intervention von Wendy (ja, die mit den Pferden) besiegt werden kann. In dem allegorisch-abstrakten Text emotionaler wie sozialer Eskalation verwoben sind verstörende Sprachbilder und eine schaurig-schöne Poesie des Grauens. Den Soundtrack bildeten elektrische Effekte, Live-Samples und verzerrter Gesang. Anhaltender Applaus, als nach akustischem wie visuellem Fade to Black die Performance endete.
Daniel MĂ€hr/ âUnd im Dunklen sieht man dochâ / Kleine Zeitung am 04.03.2017
Zwergantilopen gegen Jazzpolizei / TAZ/ Von Philipp Rhensius
Dadaistisch mutet hingegen die offensichtliche RenovierungsmaĂnahme des neuen Festivalleiters Tim Isfort an. Jazz, der ja fĂŒr Improvisation und dem Bruch mit dem Gewöhnlichen steht, lĂ€sst Isfort nicht nur auf der BĂŒhne passieren. So tauchte immer wieder Jacques Palminger vom Hamburger Weirdo-Trio Studio Braun auf, der am Freitag mit seiner Band 440Hz Trio spielte und dazu als spontaner Ansager mehrmals in Erscheinung trat: âMeine Damen und Herren, seien Sie gespannt, gleich werden hier 20 Zwergantilopen einlaufen. Nicht fĂŒttern, sie sind gefĂ€hrlichâ, kĂŒndigte er das Projekt Wendy Pferd Tod Mexiko mit Rdeca Raketa (Maja Osojnik und Matija Schellander) und der Autorin Natascha Gangl an: Ihre Mischung aus Horror-Comic-Hörspiel und surrealem Pop-Konzert clashte mit der lakonischen Ernsthaftigkeit Palmingers, geht es bei Gangls Story doch um die Reithoftochter Wendy, die eine psychedelische Reise antritt.
Dass es ein Hörspiel auf die HauptbĂŒhne schafft, zeige den Mut des Festivals, sagte Osonik spĂ€ter bei einer âdiscussionâ, zusammen mit der Freejazzikone, dem Saxofonisten Peter Brötzmann.
http://www.taz.de/!5504399/
Immer bin ich ein Rennreiter und habe es nicht eilig. Natascha Gangls Wendy fĂ€hrt nach Mexiko lesendÂ
(âŠ.) Ganz am Anfang des Buchs hat es geheiĂen: âLos derechos de los ninos. Los ninos tienen derecho a la vida.â So wenig Spanisch verstehe und lese ich, um sagen zu können, daĂ ninos Kinder sind. Die Toten haben ein Recht auf Spiel. Der Satz von den Kindern ist ĂŒbersetzt worden in den Satz von den Toten. Und das heiĂt? HeiĂt das umgekehrt, daĂ die Toten ĂŒbersetzt sind und wieder verwandelt werden können in die Kinder, verwandelt werden können in den Anfang, das Vergangene gehen kann und wieder werden?
(Peter Waterhouse, Manuskripte, 213/2016.)
Natascha Gangl: Wendy fĂ€hrt nach Mexiko. (âŠ)
Gangls Text gerĂ€t nie in Verdacht, etwas wie autobiographische AuthentizitĂ€t inszenieren zu wollen, selbst wenn die Autorin, die laut Klappentext âseit zehn Jahren zwischen Ăsterreich und Mexikoâ lebt, aus persönlichen Erfahrungen und Erlebnissen geschöpft haben sollte. âWendy fĂ€hrt nach Mexikoâ ist somit eine höchstgradig subjektive Anverwandlung, Aneignung und gleichzeitig mittels individueller Formsprache erfolgende Umwandlung und Neuschöpfung von Welt. Man könnte auch einfach sagen: Gute Literatur. Und wie immer bei guter Literatur liegt gerade in der höchsten kĂŒnstlerischen SubjektivitĂ€t stets das alle Mitmeinende, alle Mitbetreffende, wird das kollektiv GĂŒltige im scheinbar SingulĂ€ren offenkundig (âŠ)
(Gerald Lind, literaturhaus.at, 30. November 2015)